Ein Jahr vor Beginn der Europameisterschaft im eigenen Land herrscht bei Deutschlands Nationalmannschaft nach teilweise miserablen Leistungen Ernüchterung statt Euphorie. Wir analysieren in diesem Artikel die Faktenlage rund um das DFB-Team.
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Als Philipp Lahm, Sebastian Schweinsteiger, Toni Kroos und Co. 2014 den Triumph bei der Weltmeisterschaft in Rio de Janeiro im Maracanã-Stadion feierten, war die Begeisterung in Deutschland riesig. Nach einem Halbfinale für die Ewigkeit, bei dem die Truppe den Gastgeber aus Brasilien mit einer 7:1-Sensation deklassierte, wurden selbst jene für den Fussball mobilisiert, die normalerweise nichts damit am Hut haben möchten. Dass nach dem historischen Titelgewinn gegen Argentinien ein katastrophaler Absturz folgen würde, haben damals nur die wenigsten erwartet.
Knapp zehn Jahre nach dem WM-Titel herrscht Krisenstimmung in Deutschland. Bei der Weltmeisterschaft in Katar hat sich das deutsche Team mit einem Ausscheiden in der Gruppenphase blamiert. Die jüngsten Testspiele geloben keine Besserung – ganz im Gegenteil: Das Spiel gegen die Ukraine endete mit einem 3:3-Unentschieden, während die DFB-Elf gegen Polen (0:1) und Kolumbien (0:2) zwei bittere Niederlagen kassiert hat. Aufgrund der schwachen Ergebnisse ist die deutsche Nationalmannschaft mittlerweile auf Rang 15 in der offiziellen FIFA-Weltrangliste abgerutscht und befindet sich hinter Mexiko. Wenig verwunderlich mehren sich zuletzt die kritischen Stimmen. Neben dem Bundestrainer Hansi Flick, stehen auch die Spieler und der DFB unter Beschuss.
„Laut einer aktuellen Umfrage wünschen sich 70 % der heimischen Fans noch vor der Europameisterschaft 2024 einen neuen Bundestrainer.“
Selbstverständlich steht der Bundestrainer Hansi Flick im Zentrum der Kritik. Dass der ehemalige Bayern-Coach nach dem Debakel in Katar im Amt bleiben durfte, war ohnehin für viele Experten nur schwer nachvollziehbar. Langsam aber sicher gehen dem 58-Jährigen die Argumente für eine weitere Beschäftigung als Cheftrainer aus. Das sieht offenbar mittlerweile auch die Führungsriege beim DFB rund um Rudi Völler so. Insidern zufolge erwarten die Bosse bei den anstehenden Testspielen gegen Japan und Frankreich im September eine deutliche Leistungssteigerung. Es handelt sich dabei um die letzte Chance für Hansi Flick. Der DFB fordert solide Leistungen. Vor allem die Attribute Mut, Leidenschaft, Einsatz und Wille sollen verkörpert werden, ansonsten wird Flick seinen Hut ziehen müssen.
Auch bei den deutschen Fans bröckelt der Rückhalt für Flick gewaltig. Laut einer aktuellen Umfrage wünschen sich 70 % der heimischen Fans noch vor der Europameisterschaft 2024 einen neuen Bundestrainer. Doch auch die Spieler bekommen ihr Fett weg. Viele Anhänger bemängeln, dass die aktuelle Fussball-Generation abgehoben und verwöhnt wirkt. Teilweise erhalten Aussenstehende den Eindruck, dass bei Spielern wie Sané oder Gnabry der Fokus auf Instagram und teuren Shopping-Trips in Paris liegt, anstatt die Ärmel hochzukrempeln und sich um das Wesentliche zu kümmern. Dass bei Turnieren auch nach schwachen Leistungen Star-Friseure eingeflogen werden müssen, stösst ebenso auf grossen Unmut. Gleichzeitig wird bemängelt, dass es nach der Ära rund um Schweinsteiger und Lahm keine Persönlichkeiten mehr im DFB-Team gebe. 90 % der Fans geben mittlerweile an, dass sie sich früher stärker mit der Nationalmannschaft identifiziert haben. Und genau hier liegt eines der grössten Probleme des Teams. Der Mannschaft gelingt es nicht, die Fans hinter sich zu bekommen.
Auch viele Experten haben sich jüngst zu Wort gemeldet und dabei teilweise vernichtende Urteile gefällt. Philipp Lahm, der Turnierdirektor der EM 2024, hat verlauten lassen, dass es dem DFB-Team an Kontrolle, Balance und Stabilität fehle. Felix Magath legte den Finger noch tiefer in die Wunde und behauptet, dass mittlerweile kein Respekt mehr vor dem deutschen Team besteht. Er bemängelt, dass die Identität vollständig verloren gegangen sei und lässt zudem kein gutes Haar an der Nachwuchsarbeit des DFB. Dass es keine nachkommenden Stürmer und Innenverteidiger in Deutschland gibt, habe der Coach schon vor vielen Jahren kommen sehen und stelle für ihn keine Überraschung dar. Ebenso warf Magath die interessante These in den Raum, dass die Dominanz des FC Bayern in der Bundesliga massgeblich zu den Problemen innerhalb der Nationalmannschaft beitrage. Denn es gebe schlichtweg aufgrund des finanziellen Ungleichgewichts keinen echten Wettbewerb innerhalb der höchsten Spielklasse Deutschlands. Ausserdem liess der ehemalige Nationalspieler Toni Kross seinem Unmut Luft. Der Real-Star betonte dabei, dass es der Mannschaft vor allem an Selbstvertrauen fehle.
Interessanterweise schätzen jedoch die Buchmacher, die für ihre rationale Denkweise ohne jegliche Emotionen bekannt sind, Deutschland weiterhin als Top-Favoriten bei der kommenden EM ein. Gleich nach Frankreich und England wird die deutsche Nationalmannschaft noch stets als eines der Top-Teams gehandelt.
Wie es bei der deutschen Nationalmannschaft weitergeht, ist bisher ungewiss. Möglicherweise stehen uns turbulente Wochen bevor. Fakt ist: Wenn Hansi Flick in den kommenden Spielen keine Leistungsexplosion abliefert, ist er weg vom Fenster. Doch es stellt sich die Frage, wer den Posten übernehmen sollte. Die Berater von Jürgen Klopp haben unlängst bekannt gegeben, dass er nicht zur Verfügung steht und sein Engagement beim FC Liverpool fortsetzen wird. Thomas Tuchel hat erst kürzlich beim FC Bayern unterschrieben und kann wohl ebenso nicht für den DFB gewonnen werden. Ralf Rangnick trainiert die österreichische Nationalmannschaft und könnte durch einen Wechsel nach Deutschland eigentlich nur verlieren. Es scheint daher unwahrscheinlich, dass „der Professor“ den Job übernehmen würde. Als eine der wenigen realistischen Optionen scheint sich eine Verpflichtung von Julian Nagelsmann zu festigen. Dennoch ist es sehr fraglich, ob der junge Coach nicht lieber einen europäischen Verein trainieren möchte. Ob er zudem über die notwendige Erfahrung und Klasse verfügt, ist ebenso fraglich. Das jüngste Engagement in München hat ziemlich deutlich gezeigt, dass Nagelsmann im Vergleich zu anderen europäischen Top-Trainern noch über Defizite verfügt.
Es wird schnell klar, dass die Suche nach einem passenden Trainer ein schwieriges Unterfangen darstellt. Doch grundsätzlich betrachtet scheinen die Probleme tiefgründiger zu sein und würden durch einen Trainerwechsel wohl kaum ausgemerzt werden. Die jüngste Blamage bei der U-21-EM lässt die Alarmglocken noch schriller läuten. Dass sich die U-21-Mannschaft nach der Vorrunde mit nur einem Punkt aus drei Spielen verabschiedet hat, sorgte dafür, dass das Publikum die Spieler gnadenlos ausgepfiffen hat. Die Tatsache, dass Spieler wie Moukoko es vorab für nötig empfanden, grosse Töne zu spucken und den Gewinn des Turniers angekündigt haben, sorgt dabei nur noch für Kopfschütteln bei den Anhängern. Es zeigt sich deutlich, dass die Probleme der deutschen Nationalmannschaft auf zahlreichen Ebenen zu finden sind. Es wird spannend zu beobachten sein, ob dem Team bis zur EM im eigenen Land der Turnaround gelingen wird.
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